Motetten-Programm-Kritik

Anmerkungen zu den »neuen« Motettenprogrammen

Seit meiner ersten Betrachtung vom 18. Februar 2007 an dieser Stelle hat sich einer meiner Kritikpunkte erledigt: Als Schriftart kommt nun nicht mehr die Helvetica zum Einsatz, sondern jene RotisSansSerif, welche die Firma WSB für die unterschiedlichen neuen Wappen der Thomaskirche eingeführt hat und welche sie beim Satz des »Thomas-Briefes« auch als Auszeichnungsschrift nutzte.
Schon zum »Kopf« des Motettenprogrammes gibt es etliches zu sagen. Zunächst ist er mit 28% der Seite recht hoch, zumal über dem Wort »Motette« 70% des Kopfes bzw. fast 20% der Gesamtseitenhöhe leer bleibt. Angesichts der Tatsache, daß der Platz im Programm oft recht knapp ist, scheint mir das eine rechte Verschwendung zu sein.
Das neue Wappen der Thomaskirche auf der rechten Seite beinhaltet einen Schriftzug auf zwei Textzeilen. Dadurch sind einige Bezugslinien festgelegt, die Überschrift auf der linken Seite scheint aber völlig zufällig angeordnet zu sein ohne jeden Bezug zum Wappen:

Ich empfehle, das Wort »Motette« entweder auf die Grundlinie von »Thomas« oder zumindest von »Kirche« zu setzen. Damit würde sich auch der seltsame Freiraum darüber etwas verkleinern.
»Motette und Kantate« war als »Markenname« noch relativ neu (nämlich erst ungefähr 15 Jahre alt), die Bezeichnung »Motette in der Thomaskirche« hingegen war seit mehr als einem halben Jahrhundert gut eingeführt. Seit wann sie genau existierte, weiß ich nicht; das älteste Motettenprogramm aus meiner Sammlung jedenfalls zeigt bereits diesen Begriff:

Weil es nicht »Thomas-Motette« heißt, hat man bei der Logo-Serienfertigung offenbar die Motette vergessen - im Gegensatz zum »Thomas-Konzert«, welches viel seltener erklingt, jedoch ein eigenes Wappen verpaßt bekam.
Weil sich im Gebrauch aber »Motette in der Thomaskirche« kaum von der »Motette« in der Thomaskirche unterscheidet, wird die alte Marke auch mit den neuen Programmen noch lange in Kopf und Gebrauch bleiben, somal diese Formulierung weiterhin in den Motettenprogrammen des Thomanerchores zu lesen ist.
Daß gut geschnittene Antiquaschriften sich besser und schneller lesen lassen als Groteskschriften, ist allgemein bekannt. Deshalb werden groteske Schriften hauptsächlich dort eingesetzt, wo nicht schnell oder gar nicht gelesen werden soll: groß und plakativ in der Werbung oder als »Auszeichnungsschrift«, winzig im »Kleingedruckten«. Als Brotschrift hingegen werden heute fast ausschließlich Antiquaschriften verwendet.
Das weiß übrigens auch die Firma WSB, beim Satz des »Thomas-Briefes« verwendete sie für Fließtexte statt der RotisSansSerif eine Times.
Die Hauptüberschrift auf der ersten Seite lautet eigentlich »Motette«, entweder müßte diese genauso groß geschrieben werden wie »Thomas« oder besser noch deutlich größer. Keinesfalls jedoch darf sie kleiner ausfallen:

Die Schriftgrößen und Auszeichnungen sind teilweise etwas befremdlich, betrachtet wurden die Programme vom 23. und 24. März 2007 ohne die Seite »Vorschau«:

29 pt, fett	Schrift im Wappen
23 pt, fett	Überschrift »Motette«
14 pt, fett	Datumsangabe
12 pt, fett	Komponistennamen, Überschriften wie »Gemeindelied« oder »Ansprache«, Stücktitel ohne vorausgehenden Komponistennamen wie »Nunc dimittis«
12 pt, normal	Titel der musikalischen Werke, soweit denen ein Komponistenname vorausging, vom Chor gesungener Text im Gemeindelied, Name des Pfarrers, Vaterunser und dergl., Untertitel und die Herkunftsbezeichnung des »Nunc dimittis«
11 pt, fett	Gliedernde Unterüberschriften innerhalb der musikalischen Werke, »Ausführende«
11 pt, normal	sonstige vom Chor gesungene Texte, auch von der Gemeinde gesungene Worte im Kyrie, ergänzende Angaben zu den Werken wie Textherkunft oder Besetzung, die Namen der Mitwirkenden abgesehen vom Pfarrer
10 pt, normal	»Die Gemeinde erhebt sich« usf.
9 pt, fett	Liturgische Gliederung der Freitagsmotette
9 pt, normal	Übersetzung der liturgischen Gliederung, auch von der Gemeinde gesungene Worte im Ingressus, Applaus- und Kollektenhinweis

Die Texte im Gemeindelied und im Benedicamus sind in unterschiedlichen Schriftarten ungefähr in der 11-pt-Größe gedruckt. Damit ergeben sich beispielsweise folgende Beziehungen:

Stücktitel	fett oder normal
gesungene Texte des Chores	11..12 pt
gesungene oder gesprochene Texte der Gemeinde	9..12 pt

Die vorgesehene größenmäßige Unterscheidung von Chor- und Gemeindetexten ist offensichtlich nicht sinnvoll durchzuhalten. Im Wechselgesang des Gemeindeliedes müßten sich dann die Chorstrophen entsprechend von den anderen unterscheiden. Bei der Wahl einer geeigneten Schriftart kann man auch alle Texte groß und lesbar abdrucken. Wahrscheinlich beschädigen die unterschiedlich großen Schriften mehr das Gesamtbild, als sie zum Mitsingen und Mitsprechen der Gemeinde beitragen.

Das Graustufenbild der Thomaskirche im neuen Wappen mag bei professioneller Druckwiedergabe und im Internet am Bildschirm gut aussehen; bei den im Motettenprogramm vorliegenden Kopien werden hingegen die Grenzen der verwendeten Technik deutlich sichtbar. Dabei ist dummerweise der Schriftzug »Thomas« entgegen dem Eindruck nicht schwarz, so daß überflüssigerweise auch dieser als dunkelgraues Gebilde gerastert wird und ohne scharfe Kanten erscheint.
Von Benutzern der neuen Programme, welche dies auf die blaue Hintergrundfarbe schoben, erfuhr ich, daß die Programme schlechter lesbar seien als die bisherigen. Meiner Meinung nach liegt das aber nicht nur an der Farbe. Vielmehr dürften auch Schriftart und -größe, Zeilenabstände und Gesamtgliederung eine wichtige Rolle spielen.

Hier eine kleine Demonstration, wie ich mir ein Motettenprogramm vorstellen würde, welches einerseits zum »corporate design« der Thomaskirche paßt, andererseits den seit Jahren von mir erarbeiteten Standards und satztechnischen Qualitätsanforderungen entspricht.
Freilich wäre es schöner gewesen, hätte man dies bereits im vergangenen Dezember besprechen können, bevor »das Kind in den Brunnen gefallen« ist.

Martin Krämer
Leipzig, 25.3.2007